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Nachhaltigkeit in der grafischen Industrie: Vorteile statt Vorurteile

Was hat ein sächsischer Oberhauptmann aus dem 18. Jahrhundert mit der heutigen Nachhaltigkeitsdebatte in der grafischen Industrie zu tun? Das ist schnell erklärt: Hans Carl von Carlowitz prägte den Begriff der Nachhaltigkeit maßgeblich und entwickelte das erste umfassende Konzept zur langfristigen Bewirtschaftung von Wäldern.

Sein Beweggrund: der damalige hohe Bedarf an Holz für Bergbau und Bauwesen. Man möchte sagen: Carlowitz hat ein Problem erkannt und ist, um diesem zu begegnen, wortwörtlich an dessen Wurzel gegangen. Das ist es, was wir noch heute von ihm, einem der Pioniere des Nachhaltigkeitsbegriffs, lernen können: Ein genauerer Blick für ein tiefergehendes Verständnis lohnt sich. Nicht nur, um Ursache-Wirkungs-Gefüge zu durchdringen und entsprechend passende Lösungswege zu finden, sondern auch, um mit falschen Zuschreibungen und Vorurteilen aufzuräumen, durch deren Aufrechterhalten man sowohl wertvolle Zeit als auch Energie verliert.

Kann Print Sünde sein?

In vielen Köpfen herrscht heute das Bild von der grafischen Industrie als besonders sündhafte Branche in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit. Insbesondere Papierhersteller und Druckereien sind davon betroffen. Zunehmend reduzieren große Handelsunternehmen Printwerbung oder stellen sie komplett ein, setzen stattdessen auf Apps oder E-Prospekte und inszenieren sich darüber medial als „echte Macher“ in Sachen Nachhaltigkeit – Stichwort „Greenwashing“: Klingt gut, bringt nur leider wenig oder gar nichts. Man möchte sich fragen: Geht es um echten, durchdachten und wirksamen Fortschritt im Sinne der Nachhaltigkeit? Oder vor allem darum, sich beliebt zu machen, indem man das vage Verlangen der Masse nach einem Sündenbock und dem Gefühl etwas gegen ihn zu tun, zu stillen versucht? Das Verlangen, also der Wunsch nach einfachen Lösungen, ist durchaus nachvollziehbar; wir kennen ihn sicher alle. Heute sind wir als Gesellschaft mit so vielen hochkomplexen Problemen aller Art konfrontiert, dass es schier unmöglich ist, über jedes davon im Detail informiert zu sein. Die Umweltkrise ist ein solches hochkomplexes Problem. So hat man womöglich irgendwo mal etwas aufgeschnappt wie: Gedrucktes verbraucht Rohstoffe und Ressourcen, deswegen ist es für Umwelt und Klima besser, Informationen digital zu konsumieren – Hauptsache Papier sparen. „Klingt einleuchtend, wird schon stimmen!“

Ein genauerer Blick

Doch nehmen wir hier mal eine Lupe zur Hand: Wo bei einem gedruckten Prospekt auf den ersten Blick Papier, Druckfarbe und Herstellungsprozess sichtbar sind, denkt beim Lesen eines E-Papers oder Bedienen einer App kaum jemand an den Ressourcen- und Energieverbrauch, der im Hintergrund digitaler Medien stattfindet – ganz nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Es wird deutlich: Der Wunsch nach einfachen Lösungen ist so nachvollziehbar wie unrealistisch. 

Insbesondere im Kontext so vielschichtiger Themen wie Nachhaltigkeit innerhalb großer industrieller Gefüge reicht ein kurzer Blick nicht aus. Beobachten konnte man das auch im Kontext Plastik. Plastik ist nicht per se schlecht für die Umwelt. Seine Langlebigkeit hat zwei Seiten. Aus Plastik als besonders langlebiges und vielfältiges Material lassen sich besonders langlebige Produkte im Sinne der Nachhaltigkeit produzieren. Als Müll in der Umwelt ist seine Langlebigkeit das Gegenteil von nachhaltig, höchstens nachhaltig miserabel. Zusammengefasst: Es kommt im Bereich Nachhaltigkeit immer auf Kontext, Umgang und Einsatz an.

Print & Digital im Kontext von Nachhaltigkeit – Changing Perspectives

Kehren wir vor diesem Hintergrund zurück zur Frage, ob ein gedrucktes Produkt oder sein digitales Pendant nachhaltiger ist, müsste man im Grunde jede Vergleichssituation individuell betrachten – denn es gibt so viele Faktoren, die bei dieser Frage zu berücksichtigen sind. Da Printprodukte bereits mit ausreichend Vorurteilen beladen sind, kehren wir die Ausgangsbedingungen einmal um und werfen im Folgenden zunächst relevante Fragen bezüglich der Nachhaltigkeits- Dimensionen digitaler Medien auf. Denn nur, weil ihre potenziell negativen Umweltauswirkungen weniger offensichtlich sind, fallen sie nicht weniger ins Gewicht. 

  • Energieverbrauch: Wie hoch ist der Energieverbrauch während der Nutzung digitaler Medien, einschließlich des Betriebs von Servern und Endgeräten? 
  • Elektronikschrott: Welche Maßnahmen werden ergriffen, um Elektronikschrott zu reduzieren und elektronische Geräte am Ende ihrer Lebensdauer zu recyceln? Wie, wo und von wem wird der Elektronikschrott recycelt? 
  • Ressourcenverbrauch: Welche Ressourcen werden für die Herstellung von digitalen Geräten, digitaler Infrastruktur sowie den Betrieb von Datenzentren benötigt? 
  • CO2-Emissionen: Wie hoch sind die CO2-Emissionen, die durch den Betrieb von Servern und Datenzentren sowie den Energieverbrauch während der Nutzung digitaler Medien entstehen? 
  • Lebenszyklus: Wie beeinflusst die Lebensdauer digitaler Geräte und die Häufigkeit von Aktualisierungen und Upgrades (Neukauf) die Gesamtnachhaltigkeit digitaler Medien? Wie wirkt sich der Wunsch nach dem Besitz der immer neuesten Technik auf die Umweltbilanz aus? 
  • Wirksamkeit: Erreicht das digitale Medium effektiv die gewünschte Zielgruppe und wird es von ihr insofern ausreichend genutzt, dass der Energieverbrauch dahinter sich „lohnt“? Führt die Nutzung des digitalen Mediums zu dem gewünschten Erfolg, wie beispielsweise Conversions oder Interaktionen? 
  • Soziale Nachhaltigkeit: Welche sozialen Auswirkungen hat die Nutzung digitaler Medien, einschließlich Aspekten wie Zugänglichkeit, Datenschutz, Arbeitsbedingungen in der digitalen Industrie und gesellschaftlicher Teilhabe?

Und im Bereich Printmedien?

Auch hier sind es die weniger sichtbaren Aspekte, die schlicht übersehen werden, wenn es wieder mal irgendwo heißt, Printmedien seien eine pure Umweltsünde. Das heißt jedoch auch hier nicht, dass sie nicht weniger ins Gewicht fallen – im positiven Sinne… 

  • CO2-Fussabdruck: Druckprodukte machen weniger als 1 % des CO2- Fußabdruckes pro Person in Deutschland aus. 
  • Materialien: Viele Printprodukte werden auf Papierbasis hergestellt, das aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern stammt. Dabei werden keine Naturwälder gerodet. Zudem wird gesundes Stammholz für den Haus- und Möbelbau eingesetzt. Für die Papierindustrie ist es viel zu teuer. Frischfasern für die Papierherstellung in Deutschland stammen aus Durchforstungs- und Plantagenholz sowie Sägewerksabfällen. 
  • Zertifizierungen: Printmedien können Umweltzertifizierungen erhalten, etwa das FSC- oder Blauer Engel-Siegel. Das führt zu Transparenz und schafft Vertrauen. 
  • Recycling: Deutschland ist Recycling-Weltmeister. 84 % der grafischen Papiere in Deutschland werden recycelt - das macht Druckprodukte so nachhaltig.
  • Druckverfahren: Die Druckbranche ist nicht von gestern. Seit Jahren werden zunehmend moderne, energiesparende Drucktechnologien eingesetzt und weiterentwickelt.
  • Langlebigkeit: Hochwertige Printprodukte wie Bücher, Magazine oder Poster haben oft eine lange Lebensdauer und können über einen langen Zeitraum hinweg einen Mehrwert schaffen. 
  • Unabhängigkeit von Stromquellen: Es braucht keinerlei Strom- oder Energiequelle, um Printmedien zu konsumieren. Einmal vorhanden, sind sie „einfach“ verfügbar.
  • Verfügbarkeit: Printmedien sind auch für Menschen ohne Zugang zu digitalen Geräten oder Internetverbindungen verfügbar – eine soziale Dimension der Nachhaltigkeit.
  • Orientierung: Printmedien schaffen im digitalen Overflow Orientierung.

Und die Moral von der Geschicht?

Es dürfte deutlich geworden sein, wie wichtig es ist, die „Gesamtnachhaltigkeit“ zu betrachten und nicht vorschnell anhand einiger weniger Faktoren zu beurteilen, was besser oder schlechter ist. Was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, ist die Aufgabe, vor der Akteure der grafischen Industrie nun stehen, den Vorurteilen gegenüber Printprodukten das „-ur-“ zu nehmen und ihre Vorteile wieder sichtbarer zu machen – auch über den Bereich der Nachhaltigkeit hinaus. Printmedien haben Charakter. Sie sind greifbar, echt, bieten ein vollwertiges sensorisches Erlebnis. Das bewusste Durchblättern einer Broschüre oder das Berühren eines hochwertigen Druckprodukts kann eine unmittelbare und tiefgreifende Verbindung und Wertschätzung schaffen. Darüber hinaus können Printmedien mit einer Conversion Rate punkten, die im Online Marketing kaum zu erreichen ist. Die physische Präsenz und Wertigkeit von Printmedien können zu einer langfristigen Nutzung beitragen und einen Erinnerungswert schaffen. Das ist nicht nur im Kontext der Nachhaltigkeit gut, sondern auch für die Bindung an eine Marke. Wichtig ist: Es geht nicht um ein gegenseitiges Ausspielen. Es geht darum zu verstehen, dass Print und Digital wie zwei verschiedene Wesen sind – mit verschiedenen Charakterzügen und Stärken. Genau dadurch können sie einander oft wunderbar ergänzen – und das können wir auch für eine wirklich nachhaltigere Zukunft der grafischen Industrie nutzen.

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